Ein turbulenter Ukuleleabend in Madrid
- Patrick Vosen
- 4.9.2024
16.4.2024
Ich wache um 8:00 Uhr auf und schaue mich verträumt um. Ach ja, ich bin ja noch bei Alicia in Madrid. Manchmal vergesse ich, wo ich bin, wenn ich morgens aufwache. In der Nacht habe ich von meinen alten Schulzeiten geträumt, warum auch immer. Dabei sind die schon so lange her, und ein Klassentreffen gab es auch keins in den letzten 10 Jahren.
Ich erinnere mich an eine 90-jährige Dame aus einem deutschen Regionalzug, die mir sagte, dass sie auf dem Weg zu ihrem Klassentreffen sei. Alle Männer seien schon verstorben, aber die noch lebenden Schulkameradinnen treffen sich weiterhin regelmäßig. Na ja, vielleicht klappt es ja irgendwann bei meiner Jahrgangsstufe auch wieder.
Ich nutze den ruhigen Morgen für ein paar Spanischlektionen auf meinem Handy. In der Oberstufe hatte ich Spanisch im Leistungskurs, davon ist aber nicht viel übrig geblieben. Alicia schreibt mir, und wir schlendern zum Supermarkt in der Nähe, um ein paar Lebensmittel für das Frühstück einzukaufen. An diesem Morgen reden wir viel über linguistische Themen. Wann sagt man beim Kennenlernen “Mucho gusto” und wann “Encantado/a”? Wann benutzt man die Sie-Form “usted” und wann “tú”? “Qué bien” oder “qué bueno” beim Essen? Wir haben Spaß, bis meine Gastgeberin zur Arbeit muss.
Vorfreude auf den Ukuleleklub Madrid
Ich plane den Tag und freue mich riesig: Heute Abend ist der nächste Ukuleleklub. Die Pariser Ukuleleklubs haben mich schon immens beeindruckt. Jetzt bin ich gespannt, was die spanische Hauptstadt zu bieten hat. Alicia will nach der Arbeit auch vorbeikommen. Ich übe etwas Ukulele und arbeite an den Liedern aus meinem Online-Ukulelekurs von Craig und Sarah. Ich komme langsam zu dem Thema Akkordmelodie. Das wird hart. Aber ich freue mich auf Lieder wie “Nearness of You” oder “Autumn Leaves”.
Der Ukuleleklub beginnt erst um 19:00 Uhr, aber ich breche etwas früher auf, um die Stadt zu erkunden. Ich liebe es, verträumte Straßen zu entdecken, mich irgendwo hinzusetzen und in mein Tagebuch zu schreiben. Wie immer komme ich etwas früher beim Ukuleleklub an. Denn eins habe ich schon gelernt:
Wenn du dich bei einem Ukuleleklub vernetzen willst, musst du da sein, bevor musiziert wird.
Während des Klubs wird nämlich durchgängig Musik gemacht und es bleibt kaum Zeit zum Quatschen. Und viele Leute verabschieden sich frühzeitig, bevor das letzte Lied gespielt wird.. und das kann manchmal sehr spät werden.
Eine Bar, vierzig Ukulelen
Die Bar hat noch zu, es ist kurz vor 7. An die spanischen Öffnungszeiten muss ich mich noch gewöhnen. Zum Glück stehen noch andere Menschen mit ihren Ukulelen davor – ich bin hier richtig! Alicia schreibt mir, dass sie sich etwas verspätet. Als die Türen aufgehen, suche ich mir recht schnell einen Platz und werde von Alvero, der den Klub organisiert, auf Spanisch begrüßt. Meine Antwort ist so schlecht, dass er lächelnd ins Englische wechselt.
Ich erzähle ihm ganz kurz von meiner Reise und er erklärt mir den Klub. Sie treffen sich hier jede Woche, im Hochsommer jedoch in einem Park. Manchmal organisieren sie sogar Karaoke-Abende. Ich verstehe jedoch nicht richtig, was der Unterschied zwischen einem normalen Ukuleleabend und einem Karaoke-Abend ist. Plötzlich wird es sehr schnell voll. Immer mehr Menschen strömen mit ihren Ukulelen in die viel zu kleine Bar. Wir müssen eng zusammenrücken, und einige Leute besetzen sogar die Nachbarräume. Ich versuche, die Anzahl zu zählen und komme schätzungsweise auf 40 – Wahnsinn!
Ein Abend voller Musik
Vor uns hängt eine Leinwand mit Beamer, auf dem das Songbook gezeigt wird. Die Menschen in den Nachbarräumen packen ihre Tablets aus und spielen darüber. Es ist laut und eng. Die Kellnerin versucht ständig, sich einen Weg durch unsere Stühle zu bahnen. Ich bestelle mir ein alkoholfreies Bier und freue mich, dass es dazu noch kostenlose Nüsse zum Knabbern gibt. Ich sitze zwischen zwei Spanierinnen. Links neben mir sitzt eine sehr lebensfrohe Frau, die 20 Jahre in den USA gelebt hat und jetzt wieder in der Heimat ist. Sie liebt die Ukulele, aber “übt leider nicht genug”, wie sie mir sagt. Die junge Frau rechts ist blutige Anfängerin, kommt jedoch trotzdem regelmäßig zum Klub und ist ein wenig schüchtern.
Wir spielen einen wilden Mix von “Hit Me Baby One More Time” bis “Welcome to the Jungle”. Zwischendurch sind auch immer spanische Lieder dabei. Dabei wird teilweise viel gelacht. Die Spanierin links neben mir beugt sich zu mir rüber und sagt: “Du verstehst es ja nicht, aber einige spanische Lieder sind ziemlich unanständig”. Es ist schwer, dass wir alle im selben Takt bleiben, insbesondere weil wir auf verschiedene Räume aufgeteilt sind. Alvero klemmt sich eine Fuß-Tamburin an seinen Schuh und gibt den Takt vor. Das macht es besser.
Dieses Mal bin ich nicht der einzige Ausländer. Es scheinen auch ein paar Engländer dabei zu sein, die laut bei den englischen Liedern mitsingen. Nur Alicia ist noch nicht da. Aber die Bar ist zu voll, und ich befürchte, dass sie nicht mehr reinkommt. Ich habe richtig Spaß und bin langsam warm gespielt, als auf einmal die Veranstaltung vorbei ist. 21:00 Uhr. Der Klub dauerte zwei Stunden. Ganz anders als in Paris, wo ich aus lauter Erschöpfung aufhören musste.
Eine spontane Einladung zum Open-Mic
Alle packen ihre Ukulelen ein und verabschieden sich. Alicia ist immer noch nicht da. Ich kann nicht glauben, dass es das gewesen ist. Dabei wollte ich ihr doch die Ukuleleszene zeigen. Ist meine Ukulelegeschichte in Madrid schon zu Ende? Ich möchte mit Alvero sprechen, aber er ist beschäftigt. Ich lerne dafür Sahri kennen, der sich als guter Freund Alveros herausstellt. Er erzählt mir, dass Alvero, er und ihr Freund James gleich zu einem Open-Mic wollen und lädt mich ein mitzukommen. In diesem Moment kommt auch Alicia dazu und wir laufen zu fünft zu einer anderen Bar, wo das Open-Mic stattfinden soll. Ich frage Alvero nach anderen Ukulele-Communities in Spanien. Er erzählt mir, dass er manchmal die Community in Valencia besucht. Auch der Ukuleleklub in Barcelona scheint sehr aktiv zu sein.
Wir finden die Bar ganz in der Nähe und müssen durch einen Vorhang in einen versteckten Hinterraum mit einer kleinen Bühne. Der Raum ist recht klein. Circa 15 Personen sitzen an runden Tischen und hören gerade einem Mann zu, der ein Gedicht vorträgt. Ach, so ein Open-Mic ist das also. Eine junge Frau erblickt uns und unsere Ukulelen und läuft gebückt auf uns zu. “Wollt ihr auch etwas zeigen?”, fragt sie uns mit hoffnungsvollen Augen. Anscheinend ist heute nicht so viel los. Wir winken jedoch ab und suchen uns einen Tisch am Ende des Raums links von der Bühne.
Ein Überraschungsauftritt mit Alicia und den Jungs
Wir holen uns Getränke und bekommen wieder kostenlose Snacks, sogar eingelegte Oliven! Nach den Gedichten kommt jemand mit seiner Gitarre auf die Bühne. Gott sei Dank, es wird auch Musik gespielt. Die Gedichte klingen zwar sehr schön, aber ich verstehe natürlich nichts. Der Gitarrist ist gut und die Stimmung auch. Bei seinem zweiten Lied holt er noch zwei junge Frauen auf die Bühne. “I’ve been scared of dentists and the dark”.
Wir alle an unserem Tisch schrecken hoch und schauen uns an – außer Alicia. Spielen die gerade tatsächlich das mit am meisten gespielte Ukulele-Lied überhaupt? Riptide? “I’ve been scared of pretty girls and starting conversations.” Alvero packt in seine Tasche und klemmt sich wieder sein Fuß-Tamburin um. Sahri holt seine Ukulele raus und spielt mit. Ich tue es ihm nach. “All my friends are turning green.” Die Akkorde können wir alle im Schlaf spielen. Der Gitarrist entdeckt uns, und wir feuern uns gegenseitig an. Obwohl nur wenige Menschen im Raum sind, ist die Stimmung bombastisch.
Alicia versteht sich wunderbar mit den anderen Jungs und erzählt, dass sie singen kann. Plötzlich diskutieren wir, ob wir nicht vielleicht doch etwas spielen sollten. Ohne Probe und zum allerersten Mal zusammen. Alicia ist dabei, und schnell stehen drei Lieder fest: “Valerie” und “Back to Black” von Amy Winehouse und “Rolling in the Deep” von Adele. Jemand meldet uns an, und es dauert keine fünf Minuten, bis wir aufgerufen werden. Alvero stellt sich ans Mikro. James leiht sich die Gitarre vom Gitarristen, und Sahri filmt.
Das ist jetzt alles sehr spontan. Wir kennen uns erst seit 15 Minuten. Aber wir wünschen euch viel Spaß!
Alvero gibt das Mikro an Alicia weiter, und zu zweit beginnen wir mit dem Intro von “Back to Black”. Als Alicia mit der ersten Strophe beginnt, fängt das Publikum an zu klatschen. Ihre Stimme passt einfach perfekt zu Amy. Wir haben riesigen Spaß und genießen jedes Stück auf der Bühne. Alvero ist weit fortgeschrittener als ich und spielt Akkorde an anderer Position und fügt auch ein paar Soli ein. James versucht das Gleiche an der Gitarre. Puh, so weit bin ich noch nicht. Das Publikum sing laut mit und auf einmal ist dieser Abend legendär!
Nach dem Auftritt verlassen wir die Bühne unter Applaus und geben uns ein “High Five”. Das war genial! Wir sind danach alle ins Gespräch vertieft, und James fragt mich über Alicia und ihre Band aus. Sahri schickt mir die Videos und sagt mir, dass ich mich bei ihm melden soll, falls mich meine Reise bis nach Saudi-Arabien führt.
Der Abschluss eines unvergesslichen Abends
Es werden noch ein paar Lieder gespielt und Gedichte vorgetragen. Dann ist Schluss. Wir unterhalten uns noch etwas vor der Tür. Ich bedanke mich bei Alvero für den Klub und dafür, dass wir mitkommen konnten. Er ist seit unserem Auftritt ein kleines Vorbild für mich. James hat viele Jahre in Deutschland gelebt und spricht Deutsch. Wir gehen mit ihm zusammen bis zur U-Bahn, und er erzählt uns etwas, das mich aufhorchen lässt.
Ich lebe jetzt seit einem Jahr in Madrid und alle meine Freunde in der Stadt habe ich beim Ukuleleklub kennengelernt.
James würde uns gern einmal wiedersehen. Wir verabschieden uns an der Metro-Haltestelle. Ali und ich fahren glücklich nach Hause und quatschen wie gewohnt noch bis halb eins, bis wir ins Bett fallen. Im Bett sehe ich, dass mir jemand auf “Hand gegen Koje” zurückgeschrieben hat, der drei Monate auf einem Segelboot im Mittelmeer unterwegs sein wird und mich persönlich kennenlernen will. Ich kann kaum einschlafen. Dieser Abend war einfach zu aufregend. Irgendwie übermannt mich dann doch die Müdigkeit, und ich schlafe mit einem großen Lächeln im Gesicht ein.