Digitaler Minimalismus auf Reisen: Wie ich die Handysucht bekämpfe und das Reisen neu entdecke
- Patrick Vosen
- 20.7.2024
13.4.2024
Endlich bekomme ich genug Schlaf. Es ist mein zweiter und letzter Tag in Toulouse. Heute Abend nehme ich den Bus nach Madrid zu meiner Freundin Alicia, die ich in Thailand im Kloster kennengelernt habe. Ich liege im Bett und spiele an meinem Handy herum. Mist – das ist doch eine Gewohnheit, die ich loswerden wollte.
Handysucht auf Reisen
Generell fällt mir auf meinen Reisen immer häufiger auf, wie sehr auch wir Reisende von der Handysucht betroffen sind. Tagsüber scheinen wir meist davon befreit zu sein, wenn wir auf Touren die Umgebung entdecken oder in längeren Gesprächen mit anderen Reisenden versinken. Aber abends, nach den ganzen Abenteuern, versinken wir in unser Bett und lassen uns von leichter Unterhaltung auf unserem Smartphone berieseln.
Tatsächlich ist es ein komisches Bild, wenn ich im Hostelbett liege, das Zimmerlicht ausgeschaltet wird und der Raum plötzlich von Handybildschirmen beleuchtet ist.
Arbeiten im Aufenthaltsraum
Ich raffe mich auf und setze mich unten in den Aufenthaltsraum. Dort sitzt wieder der Mann vom Vortag und hört seine Musik. Diesmal ist es klassische. Na gut, dazu kann ich wenigstens gut arbeiten.
Ich programmiere weiter an meinem Blog. Eigentlich muss ich nur kleine Bugs lösen, aber das dauert alles viel länger als erwartet. Nach einer Stunde gebe ich etwas frustriert auf und entschließe mich dazu, unter der Dusche einen klaren Kopf zu bekommen.
Die anderen sind auch wach und wir packen gefühlt gleichzeitig unsere Taschen vorm Check-out. In letzter Minute schaffe ich es noch, mein am Vortag gekauftes Tiefkühlgemüse in der Pfanne aufzuwärmen und fülle es in meine bisher unbenutzte Lunchbox. Nach dem Check-out lasse ich meinen Rucksack im Hostel und setze mich mit meinem Kindle an den Fluss.
Digitaler Minimalismus
Schon seit über zwei Monaten lese ich das Buch “Digital Minimalism” von Cal Newport. Ein Buch, das mein digitales Leben komplett auf den Kopf gestellt hat. Dass ich ein Problem mit meinem Medienkonsum habe, wusste ich schon lange. Oft habe ich mich an einem “digitalen Detox” versucht, nur um ein paar Tage später wieder im Übermaß zu konsumieren.
Insbesondere wenn ich krank wurde, war die Rückfallgefahr am größten. Am krassesten wurde mir das Suchtpotenzial unserer Handys und sozialen Medien jedoch nach meinem Klosteraufenthalt bewusst.
Erfahrungen im Schweigekloster
Knapp drei Wochen habe ich in Doi Suthep in Nordthailand in einem buddhistischen Vipassana-Meditationszentrum verbracht. Ein Schweigekloster ohne Handy, ohne Bücher, ohne Schreiben, ohne Abendessen. Generell konnte ich für 17 Tage nichts weiter machen, als zu meditieren. Es war eine harte, aber sehr erfüllende Zeit.
Ich kann mich sehr gut an das Gefühl erinnern, als ich das Kloster verließ: Ich fühlte mich befreit und glücklich! … bis das normale Leben mit seinen alten Gewohnheiten seinen Tribut einforderte. Mein Handy nach dem Kloster einzuschalten war einfach. Vor dem Internet hatte ich jedoch Angst und zögerte bis zum letzten Augenblick, bis ich es einschaltete. Dann kamen all die Nachrichten der letzten Wochen an und mein Handy hatte wieder die Kontrolle über mich.
Als ich mich am selben Tag mit einem jungen Briten traf, der ein paar Tage früher das Kloster verlassen hatte, war ich entsetzt. Beim Mittagessen schaute er sich Videos bei TikTok an, ohne Grund. Warum waren wir im Kloster, wenn uns die alten Gewohnheiten und Süchte wieder so schnell einholen?
Inspiration und Lösungsansätze
Deshalb suchte ich nach Inspirationen, wie ich meiner Handysucht Herr werden konnte und stieß auf das Buch von Newport. Ich ging das Buch sehr langsam an, aber zwei Monate nach meiner Rückkehr nach Deutschland war ich bereit, meine sozialen Medien (Facebook und Instagram) zu löschen. Das war kein leichter Weg und die Portale wollen es einem auch so schwer wie möglich machen. Aber mit einer guten Vorbereitung ist dieser Schritt möglich.
Ich hatte immer die Angst, dass ich etwas ohne die beiden Netzwerke verpassen könnte. Oder dass mir ein Facebook-Kontakt in Zukunft doch noch von großem Nutzen sein könnte. Aber in der Realität verbrachte ich viel Zeit auf den Plattformen damit, irgendwelche Videos zu schauen, die ich eigentlich gar nicht gesucht hatte. Und dann ist man im sogenannten Doomscrolling gefangen. Man kann gar nicht mehr aufhören.
Sobald gelöscht, habe ich die sozialen Medien nicht mehr vermisst. Mir geht es mental besser und ich nutze die freigewordene Zeit für neue Ideen und Projekte. Sogar der Kontakt zu meinen Freunden und meiner Familie ist besser geworden. Ich habe wieder die Kontrolle über mein Leben und will diese auch nutzen. Aber darüber schreibe ich am besten in einem separaten Kapitel.
Soziale Medien sinnvoll nutzen
Im aktuellen Kapitel geht es darum, wie man soziale Medien sinnvoll nutzen kann und eben nicht impulsgesteuert und viel häufiger als man es müsste. Darüber muss ich etwas länger nachdenken, weil ich schon jetzt merke, dass ich zumindest Facebook für meine Ukulelereise brauchen werde. So viele Ukulele-Communities sind auf Facebook organisiert und sind nur über ihre Facebook-Gruppen zu erreichen. Ich werde mir ein Konzept überlegen, wie ich Facebook für meine Reise nutzen kann, ohne wieder davon abhängig zu werden.
Stadterkundung und Gespräche
Ich erkunde weiter die Stadt und finde einen schönen botanischen Garten. Da ich noch genug Zeit habe, rufe ich meinen Vater und ein paar Freunde an. Manchmal ist es echt besser, Leute einfach anzurufen, anstatt zu schreiben. Ich meditiere etwas auf einer Parkbank, werde aber von einem riesigen Motorrad-Korso gestört, der gefühlt eine Stunde am Park vorbeizieht.
Zurück im Hostel
Zurück im Hostel arbeite ich noch etwas an der Webseite, die wegen DNS-Problemen nicht zu erreichen ist. Gut, dass noch kaum jemand die Webadresse hat. Als das Problem gelöst ist, spiele ich etwas Ukulele und starte meinen zweiten Versuch am Roman “Norwegian Wood” von Haruki Murakami.
Ein anderer Gast spricht mich an und wir kommen ins Gespräch. Er kommt aus Nizza und besucht Freunde in der Stadt. Irgendwie scheint er nervös zu sein. Als ich ihn darauf anspreche, erzählt er mir, dass er immer noch unter den Auswirkungen seines Burnouts leidet. Seit drei Jahren kann er schon keine neue Arbeit aufnehmen und fühlt sich sehr verunsichert. Wir sprechen über eine Stunde, aber ich bin ein wenig erleichtert, als er sich verabschiedet. Nicht wegen seiner Geschichte, sondern weil er mir doch etwas zu sehr auf die Pelle gerückt ist. Ich war schon öfter in meinem Leben kurz vor einem Burnout und ich kann ihn verstehen. Aus einem Burnout herauszukommen, ist nicht leicht.
Abendessen und Abreise
Ich bleibe im Hostel und esse das Gemüse aus meiner Lunchbox – es ist tatsächlich noch warm! Die Zeit vergeht wie im Flug und ich gehe etwas früher zum Busbahnhof. Der Bus kommt pünktlich um 23:00 Uhr. Es ist ein komischer Tag und ganz anders als die in Paris. Aber ich freue mich schon auf das Wiedersehen mit Alicia und steige mit einem guten Gefühl in den Bus.